Artikel für das Engelmagazin: Der Bambus-Effekt
In unserer heutigen sehr schnelllebigen Zeit geraten wir immer häufiger in Hektik und Stress. Wir müssen immer vielfältigere Information in immer kürzerer Zeit bewältigen und fühlen uns dabei oft überfordert. Wenn wir dann nur noch durch unser Leben hasten und kaum noch Zeit für uns und unsere Bedürfnisse spüren, verlieren wir uns nur zu leicht in all unseren Aufgaben und Herausforderungen. Wir rennen immer schneller in unserem Hamsterrad, das wir Leben nennen, und vergessen uns dabei oftmals selbst.
Eine gute Freundin von mir nimmt sich beispielsweise am Morgen 30 Dinge vor, die sie am Tag unbedingt erledigen möchte und schafft dann immerhin 25 davon. Freut sie sich dann darüber? Nein! Denn sie sieht nicht etwa die 25 erledigten Sachen, sondern kritisiert sich stattdessen für die 5 Erledigungen, die offen geblieben sind, trotz aller Eile und Mühe. Kommt dir das bekannt vor?
Für mich besteht die Hauptursache für diese Lebensweise darin, dass wir verlernt haben, uns zu fühlen. Und damit haben wir uns von uns selbst immer weiter entfernt. Ursprünglich sind wir vor allem fühlende, empfindende Wesen. Wir alle besitzen Feingefühl und Intuition, die uns befähigen, uns unmittelbar mit uns und unseren Bedürfnissen zu verbinden. Wenn wir nur wieder mehr auf diese innere Stimme hören würden. Ich nenne sie gern die Stimme unseres Herzens.
Im Alltag wird diese große Fähigkeit von uns fast dauernd vom lauten und immerwährenden Verstand übertönt. Unser Denken gleicht einer dröhnenden Trommel, die so laut ist, dass wir normalerweise die viel leisere Stimme der Empfindung nicht hören. Dabei wäre sie in der Lage, uns mit unserem inneren Licht zu verbinden, so wie Khalil Gibran sagt:
„Der Mensch besteht aus zwei Teilen: einer wacht in der Dunkelheit, und der andere schläft im Licht.“
Unsere Gefühle können uns mit unserem fühlenden, seelischen Teil verbinden. Darum würde ich gern etwas poetisch Gefühle als die Sprache unserer Seele bezeichnen, so wie Gedanken die Sprache unseres Geistes sind. Durch unsere Gefühle spricht unsere innere Stimme zu uns, die ich unserem Herzen zuschreiben möchte. Diese Stimme unserer Intuition möchte uns Ideen vermittelt, mit uns in Kontakt treten, um uns führen und lenken zu können. Den Kontakt zu unserem Gefühl aufzugeben bedeutet, die Verbindung zu unserer seelischen Führung zu kappen. Wir können spüren, was uns guttut, und wir können wahrnehmen, welchen nächsten Schritt wir tun sollten.
Beim Fühlen blicken wir nach innen, in uns und unsere Empfindungen hinein. In dem Sinne, wie Carl Gustav Jung es meinte
:
„Wer nur nach außen schaut, träumt. Wer sich nach innen wendet, erwacht.“
Beschäftigen wir uns mehr mit der Wahrnehmung unserer Gefühle, dann eröffnet sich uns eine innere Welt, die unserem Verstand sicherlich zunächst einmal sehr fremd vorkommen muss. Diese Welt erklärt sich nicht logisch, sondern ist einfach, wie sie ist und wird wahrgenommen: Aha, für mich ist das jetzt so. Mit dieser Sache hier geht es mir so. Ich fühle mich wohl, oder unwohl. Dies braucht keine nähere Erläuterung. Ich fühle es eben in diesem Moment auf diese Weise. Und morgen fühle ich vielleicht schon wieder ganz anders. Auch Laotse war schon diese innere Reise wohlbekannt uns erstrebenswert:
Der Reisende ins Innere findet alles, was er sucht, in sich selbst. Das ist die höchste Form des Reisens.
Beim Fühlen können wir jedoch nicht wie gewohnt auf das Sichtbare zurückgreifen, dass unsere Augen sehen und das wir mittels unseres Verstandes bewerten und beurteilen können. Beim Fühlen treten wir in Kontakt mit einer unsichtbaren Welt und sind dabei auf unsere Herzensaugen angewiesen, die meist noch schwach sind, aber geschult werden können. Diesen Augen geht es dann oft so wie in dieser Geschichte von Khalil Gibran:
Das Auge sagte eines Tages: ich sehe hinter diesen Tälern im blauen Dunst einen Berg. Ist er nicht wunderschön?
Das Ohr lauschte und sagte nach einer Weile: Wo ist der Berg? Ich sehe keinen!
Darauf sagte die Hand: Ich versuche vergeblich, ihn zu greifen. Ich finde keinen Berg!
Da wandte sich das Auge in eine andere Richtung. Die anderen diskutierten weiter über diese merkwürdige Täuschung und kamen zu dem Schluss: Mit dem Auge stimmt etwas nicht!
Das Wort Empfinden lässt sich altdeutsch auf das ursprüngliche „Etwas in sich finden“ zurückführen. Dieses tiefe Empfinden ist noch rein und steigt in mir in jedem Moment auf, damit ich es wahrnehme. In seiner ersten Reinheit ist es als Intuition mit meiner Seele verbunden.
Eine erste reine Empfindung ist somit unendlich wertvoll, denn sie kann mir wichtige Impulse geben, etwa, um eine Entscheidung zu treffen. Ist es darum nicht sehr wünschenswert, wieder Fühlen und Empfinden zu lernen? In unserer neuen Zeit sollte darum unser Gefühl wieder unsere vielleicht wichtigste Basiskompetenz in Berufs- wie Alltagsleben werden.
In meinem neuen Buch „Der Bambus-Effekt“ lade ich dazu ein, unsere Gefühle wieder mehr in den Mittelpunkt unseres Lebens zu stellen. In Asien ist der Bambus hochverehrt und steht dort unter anderem als Symbol für Reinheit. So wie auch unsere Gefühle grundsätzlich rein sind und für uns wichtig. Sie sind in der Lage, uns unsere eigene Wahrheit davon zu vermitteln, wie wir etwas erleben und spüren. Gefühle wachsen dabei aus uns heraus, so wie ein Bambus-Sprössling in die Höhe schießt. Der Zugang zu unserer inneren Quelle ist dabei so wertvoll und positiv, dass ich ihn gern, in Analogie zum positiven Denken, als „Positives Fühlen“ bezeichnen möchte. Mit dem Begriff „Positives Fühlen“ sind alle Informationen und Impulse zusammengefasst, die uns mittels unserer Intuition zu teil werden können. Anstatt uns unablässig den Kopf zu zerbrechen, und keine Lösung oder Entscheidung finden zu können, kann uns das Positive Fühlen rasch helfen, eine gute Einschätzung der Lage zu bekommen.
In unserer neuen Zeit sollten wir häufiger „Positiv Fühlen“.
Denn wenn wir jedoch leider oft nicht wirklich mit unseren Gefühlen in Verbindung stehen, welche Sinne nutzen wir dann wohl stattdessen? Es ist das vielleicht größte Dilemma unserer Zeit, dass wir unsere Gefühle weitgehend bei Seite schieben und unserem Verstand zumeist das Steuer in die Hand geben. Genau gesagt ist es sogar unsere starke Hinwendung zum Wissen und Verstehen, die uns von uns selbst entfernt hat. Denn nur unser Gefühl gibt uns die Möglichkeit, uns selbst wahrzunehmen. Gedanken verhalten sich gern eher wie ein Flugzeug in der Warteschleife, die ständig um den Flughafen kreisen und ewig auf die Landung warten. Gedanken kreisen oft nur um sich selbst und im ständigen Suchen nach noch mehr Wissen finden wir dann auch gar keine verstandesbedingte Lösung mehr. Darum könnte das Fühlen in der näheren Zukunft auch so wichtig werden. „Fühlst du schon, oder denkst du noch?“ könnte ein Slogan werden. Oder, wie Khalil Gibran sagt:
„Wenn du das Ende von dem erreicht hast, was du wissen solltest, stehst du am Anfang dessen, was du fühlen solltest.“
Manfred Mohr ist Autor und Seminarleiter. In seinem neuen Buch „Der Bambus-Effekt“ bietet er ein neuartiges „7-Schritte-Programm“ an, um uns und unseren Gefühlen wieder näher zu kommen. Es erscheint Anfang April 2017. www.manfredmohr.de