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Das Wunder der Dankbarkeit

Artikel für das Engelmagazin

Das Wunder der Dankbarkeit

Vielleicht fragt sich beim dieser Überschrift der eine oder andere Leser, wieso gerade ich mich mit dem Thema Dankbarkeit auseinandersetze. Sicher habe ich nach dem Fortgehen von Bärbel eine Weile gebraucht, um der Trauer Raum zu geben. Und ganz bestimmt habe ich auch eine Weile mit dem Schicksal gehadert. Heute, nach mehr als einem Jahr Abstand,  kann ich rückblickend sagen, dass alles gut ist, wie es ist. Um zu dieser Sichtweise zu gelangen, war Dankbarkeit mein wichtigstes Übungsfeld.

Jeder Tag, jeder Monat im letzten Jahr hat mir einen neuen Impuls gegeben, eine neue Erkenntnis geschenkt, um meine besondere Situation annehmen zu lernen. Die ersten Monate im  vergangenen Winter waren besonders lang und besonders dunkel. Wie dankbar war ich aber, als sich der Frühling zeigte, und die Tage wärmer und länger wurden. Für mich habe ich festgestellt, heute auch vielen kleinen Dingen viel dankbarer und anerkennender gegenüberstehen zu können, die ich früher einfach übersehen hätte. Vielleicht liegt genau darin der Sinn unserer Dualität. Nie sehnt man das Licht mehr herbei, als nach langer Dunkelheit. Ohne Schatten würden wir das Licht vielleicht gar nicht mehr schätzen. Immer Himbeereis mit Sahne ist auch irgendwann langweilig. Goethe sagt dies mit den Worten: „Erst die Erinn‘rung wird uns offenbaren, die Gnade, die das Schicksal uns verlieh. Wir wissen stets nur, dass wir glücklich waren, dass wir glücklich sind, wissen wir nie.“

Was übersehen wird, erfährt keine Wertschätzung mehr.  Es verschwindet einfach aus unserem Blickfeld. Achtsam zu sein lässt uns viel mehr Dinge in unserem Leben erkennen und  vor allem, wie wertvoll sie für uns sind. Achtsamkeit ist für mich darum eine Grundvoraussetzung für Dankbarkeit. Wenn ich so gehetzt und in Eile bin, dass ich die Blume am Wegesrand übersehe, dann fehlt mir ganz einfach die Zeit, die Schönheit dieser Blume wertzuschätzen. Aber ist die Blume nicht genau zu diesem Zweck auf dieser Welt? Um ihren Duft zu riechen, und  ihre Schönheit zu bewundern? Ist nicht schon allein in dieser Bewunderung eine versteckte Art verborgen, ihr dankbar zu sein?

Vielleicht liegt bereits in diesem Beispiel eines der Wunder der Dankbarkeit verborgen. Warum sonst haben alle Kulturen solch großen Wert auf die Etablierung von Dankbarkeit gelegt? Schon im Koran, dem neuen Testament und den alten hebräische Schriften findet sie als besonders erstrebenswerte menschliche Tugend immer wieder Erwähnung. Meister Eckhard bringt es auf den Punkt: „Wäre das Wort „danke“ das einzige Gebet, das du je sprichst, so würde es genügen.“

Kaum ein Dichter und Denker, der sich nicht auch mit diesem Thema beschäftigt hat. Der für mich wesentlichste Satz stammt von Christian Morgenstern: „Dankbarkeit und Liebe sind Geschwister.“

Das zarte Pflänzchen Dankbarkeit kann  nur auf dem Acker der Selbstliebe gedeihen. Wer sich selbst nicht liebt, dem wird wahre Dankbarkeit schwerfallen. Denn ein herzliches Danke bedeutet oft, anzuerkennen, wie wertvoll ein anderer Mensch für mich ist. Und wo soll dieser Wert wohl herkommen, außer aus mir selbst? Dankbarkeit  ist deshalb für mich so etwas wie die „Währung“ der Liebe, zwischen Menschen, die sich anerkennen und wertschätzen.

Es war mir eine Herzensangelegenheit, mein neues Buch über das Thema Dankbarkeit zu schreiben. Dankbarkeit war in der Zeit nach Bärbels Tod für mich eine Art Licht in der Dunkelheit, an dem ich mich orientieren konnte. Zuerst war da nur ein kleines Glimmen, aber nach und nach wurde ein Leuchten daraus. Es brachte mich auf die richtige Fährte. Immer mehr gelang es mir schließlich, dankbar auf meine gemeinsame Zeit mit Bärbel zurück zu blicken. „Das Wunder der Dankbarkeit“ erzählt von diesem Weg.

Heute, nachdem das Trauerjahr vorüber  ist, kann ich auch endlich vielen Momenten dankbar sein, die in der Zeit von Bärbels Krankheit lagen. Auch diese schwierigen Monate tragen viele gute Erinnerungen. Nun schaue ich zurück und denke an die schönen Spaziergänge, die wir gemeinsam machen durften. An die guten Gespräche, die uns einander nahe gebracht haben. Ich kann mittlerweile auch Dankbarkeit entwickeln für das Privileg, sie auf ihrem Weg begleitet zu haben.

Ganz besonders dankbar bin ich auch den Menschen, die uns in dieser Zeit zur Seite standen. Meine Beziehungen zu diesen engen Freunden sind durch dieses gemeinsame Erleben noch tiefer geworden. Und das ist ein sehr großes Geschenk. Ein Freund ist Krankenpfleger und schaute mit Rat und Tat immer mal wieder vorbei. Eine liebe Freundin sang bei der Beerdigung, obwohl sie mitten im Hausbau steckte und wirklich keine Zeit hatte. Sie reiste trotzdem an, denn es war ihr ein Bedürfnis, dabei zu sein.

Auch unser Au Pair wuchs in die neue Rolle sehr wunderbar hinein. Sie ist zu einem Teil unserer Familie geworden, und steht uns auch heute noch sehr nahe. Gerade für meine Tochter hat sie eine Funktion als Freundin und Ersatz-Mama bekommen. Dieses junge Mädchen in dieser Zeit bei uns zu wissen, war ein großes Glück für uns. Und so könnte ich noch von vielen guten Fügungen berichten, die während dieser Zeit, und auch heute noch, geschahen.

Der Volksmund sagt: „Wer dankbar jeden Sonnenstrahl genießt, der wird auch mit dem Schatten zu leben wissen.“ Daran ist sicher sehr viel Wahres. Wenn ich mich heute rückblickend frage, woher ich in der Zeit nach Bärbels Fortgehen die nötige Kraft gefunden habe, um die notwendigen Dinge zu bewältigen, dann ist Dankbarkeit meine Antwort. Es ist eine dicht gedrängte Zeit voller nachhaltig wirkender Bilder gewesen. Vielleicht habe ich noch niemals so intensiv gespürt, zu leben.

Dankbar bin ich vor allem auch meinen Kindern. Von ihnen habe ich im letzten Jahr sehr viel lernen dürfen. Kinder gehen weiter, sie schauen einfach nach vorn. Sie sind noch so wunderbar verbunden mit dem hier und jetzt. Bald ist Weihnachten, was bekomme ich geschenkt? Wann fahren wir wieder Ski? Wann fahren wir wieder zur Oma? Weiter zu gehen ist gar nicht so schwierig. Man setzt einfach einen Schritt vor den nächsten. Und plötzlich ist man ganz woanders, an einem neuen Platz, bei einer neuen Perspektive, angelangt.

Das wichtigste zum Thema Dankbarkeit habe ich mir aber für den Schluss aufgehoben. Für mich ist die Kultivierung von Dankbarkeit der Schlüssel für ein erfülltes Leben geworden. Sie kann helfen und dabei unterstützen, das Gute zu erkennen, auch wenn es oft schwer zu entdecken ist. Das Gute ist immer da. Und, wie Bärbel einmal so schön sagte: „Der Himmel hinter den Wolken ist immer blau.“ Auch wenn wir ihn manchmal in unserem täglichen Auf und Ab gar nicht mehr sehen können. Für mich besteht das Wunder der Dankbarkeit schlicht und einfach in: Glück! Denn, wie Francis Bacon meint: „Nicht die Glücklichen sind dankbar, es sind die Dankbaren, die glücklich sind.“
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Das neue Buch von Manfred Mohr, „das Wunder der Dankbarkeit“, erscheint am 1.2.12 im Verlag Gräfe und Unzer.